Kürzlich berichtete die WAZ Bochum vor dem Mitgliedervotum in der SPD wie folgt: Große Koalition sorgt für Unruhe in SPD-Basis in Bochum. Auch ich wurde dabei zitiert:
[quote_box author=“Jens Matheuszik“ profession=“Vorsitzender SPD Bochum-Ehrenfeld“]Ich bin noch unentschlossen, wofür ich stimmen werde.[/quote_box]
Das Zitat stimmt grundsätzlich inhaltlich – ist aber doch etwas verkürzt dargestellt.
Um das mal zu erklären, muss ich etwas ausholen. Das geht dann doch besser im eigenen Blog als bei Twitter. Denn da reichen 280 Zeichen absolut nicht…
Grundsätzliches zur Situation
(oder aber noch #unentschlossen)
Denn: Am 24. September 2017 haben die Deutschen den Bundestag gewählt. Eine Bundesregierung ist bekanntlich bisher noch nicht zustande gekommen.
Warum?
Weil die amtierende und nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel – und ihre Partei die CDU (und CSU) – es nicht geschafft haben! Als stärkste Fraktion wäre es erstmal an ihnen, eine parlamentarische Mehrheit für sich zu gewinnen.
Mehrere Wochen posierte man auf Balkonen. Doch am Ende scheiterten die Jamaika-Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen an dem Veto eines Einzelnen: Christian Lindner von der FDP.
Mir ist es wichtig, das obige noch einmal zu betonen. Denn gerne wird ja der SPD eine gewisse Schuld an der Hängepartie bezüglich der Bundesregierung vorgeworfen. Das das aber primär an CDU/CSU und insbesondere Angela Merkel lag, wird gerne vergessen.
Die dann im Anschluss an Sondierungen stattgefundenen eigentlichen Koalitionsgespräche zwischen der SPD und der CDU/CSU haben nur einen Bruchteil der Zeit der Jamaika-Sondierungen gebraucht. Vielleicht weil man auch nicht für so viele tolle Fotos vom Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin posieren musste, sondern sich um die Inhalte eines Sondierungspapiers (im Vorfeld eines noch zu erarbeitenden Koalitionsvertrags) gekümmert hat?
Das Sondierungspapier zwischen CDU, CSU und SPD
Als nach einer Woche das Sondierungspapier zwischen der Union und der SPD bekannt wurde, war ich enttäuscht. Auf den 28 Seiten fand sich jetzt nicht der große Wurf, eher ein Klein-Klein und ich muss sagen, dass ich die Taktik der SPD auf Bundesebene nicht verstanden habe:
SPD geht in Vorleistung – und was machen CDU und CSU?
Die CDU und CSU – und insbesondere Angela Merkel – haben ein Interesse an einer großen Koalition. Und sollten daher der SPD etwas entgegenkommen. Stattdessen wurde im Sondierungspapier jedoch festgelegt, dass die SPD in Vorleistung treten sollte. Und zwar bei den „subsidiär Schutzbedürftigen“ und der entsprechenden Abstimmung im Bundestag.
Übrigens ist der Begriff „subsidiäre Schutzbedürftige“ ein ganz schlimmer Begriff (wie Erik Flügge es hier bereits festgestellt hat), denn „Von Tod und Folter Bedrohte“ ist viel eingängiger und nicht so kompliziert.
Ich habe mich (und auch einige MdBs!) gefragt, warum nicht eigentlich die CDU und CSU in Vorleistung treten: Man könnte doch einfach mal die noch offenen Punkte aus der großen Koalition 2013-2017 aufgreifen und sagen, dass die SPD erneuten Verhandlungen erst zustimmt, wenn die offenen Punkte abgearbeitet wurden. Das wären so Dinge wie eine Finanztransaktionssteuer, das Rückkehrrecht in Vollzeitstellen oder eine richtige Solidarrente.
Das geschah aber nicht…
Erklärung gegen die große Koalition
Unter anderem aufgrund des fehlenden „großen Wurfes“ im Sondierungspapier beteiligte ich mich auf Anfrage gerne an der Erklärung von GenossInnen aus der Basis der SPD Bochum, in der wir uns gegen eine große Koalition aussprachen.
Damit waren wir inhaltlich auf der Grundlage des Parteitagsbeschlusses der SPD Bochum (siehe den Beitrag Erneuerung von unten: SPD Bochum steht zur Oppositionsrolle im Bund).
Doch Verhandlungen zur großen Koalition
Doch es kam ja doch noch zu Verhandlungen über eine große Koalition. Denn der außerordentliche Bundesparteitag der SPD in Bonn entschied sich – mit knapper Mehrheit – dafür. Unter anderem auch, weil in drei zentralen Punkten deutliche Verbesserungen erzielt werden sollten.
Ob diese jetzt durch den neuen Koalitionsvertrag erzielt wurden, das ist eine Sache, die jede/r für sich selbst entscheiden muss.
Gespräch mit der WAZ Bochum vor dem Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag
Kürzlich suchte die WAZ, siehe das Foto oben, das Gespräch mit einigen Ortsvereinsvorsitzenden der SPD Bochum. In diesem Gespräch hatte ich insgesamt fünf Punkte ansprechen wollen – jedoch kam ich nur zu vieren davon (das sind die ersten vier Überschriften, die ich jedoch nochmal konkreter erläutern möchte):
1.) Kein abschließendes Meinungsbild des Ortsvereins
Der Ortsverein in dem ich aktiv (und dessen Vorsitzender ich) bin, hat keine „offizielle“ Meinung zu dem Thema. Das liegt daran, dass es uns leider nicht möglich war, eine Mitgliederversammlung zum Mitgliedervotum durchzuführen. Geplant war es natürlich, aber so einfach ist das auch nicht immer.
Denn wenn man so eine Mitgliederversammlung plant braucht man ja nicht nur einen Raum sondern auch entsprechende ReferentInnen – und am besten und idealsten natürlich für beide Positionen (GroKo und NoGroKo).
Hier gab es nach einigen Anfragen auch gute Gespräche und erste Ansätze u.a. mit dem Bundesvorstand der Jusos. Nein, Kevin Kühnert musste leider absagen, da er an dem geplanten Tag in einem anderen Bundesland weilte – aber er ist ja nicht das einzige Mitglied des Bundesvorstandes. Zwischenzeitlich sah es sogar so aus, dass ich aus einer ganzen Reihe von NoGroKo-VertreterInnen auswählen konnte, während es auf Seiten der GroKo-Befürworter aufgrund von anderweitigen terminlichen Verpflichtungen eher schlecht aussah.
Dann wurde die recht kurze Rückmeldefrist zum Mitgliedervotum bekannt. Die ausgefüllten Stimmzettel müssen am 2. März vor Ort in Berlin sein; ein ursprünglich geplanter Termin am 27. Februar ist da unter Umständen etwas knapp – der Februar hat ja nur 28 Tage.
Informationsveranstaltung im Stadtbezirk, statt Abstimmung im Ortsverein
Daher gab es zwar im SPD-Stadtbezirk Bochum-Mitte, zu dem die SPD Bochum-Ehrenfeld gehört, eine Informationsveranstaltung mit Axel Schäfer (der für die große Koalition warb) und Dietmar Köster (der sich dagegen aussprach) – aber eben keine Veranstaltung des Ortsvereins.
Was ich persönlich sehr schade finde. Solange es die aber nicht gibt, kann ich nicht nach außen eine Meinung des Ortsvereins vertreten – und das habe ich auch so erklärt.
Mir ist natürlich klar, dass ich als Person gefragt wurde – aber die Anfrage galt ja aber dennoch auch primär dem Amt der Ortsvereinsvorsitzenden der SPD Bochum. Daher habe ich der WAZ bereitwillig die Stimmungslage, so wie ich sie aus zahlreichen persönlichen Gesprächen mitbekommen habe, mitgeteilt.
Für meine persönliche Entscheidung war es übrigens zu diesem Zeitpunkt zu früh – denn ich hatte mir zu dem Zeitpunkt noch nicht wirklich den Koalitionsvertrag durchgelesen. Natürlich will ich mir den nicht in Gänze durchlesen, aber eigentlich schon die Punkte, die mir wichtig sind.
2.) Nach dem Sondierungspapier eher viele dagegen
Mit der oben geschilderten Bewertung des Sondierungspapiers war ich nicht alleine – ich habe nach dem reinen Sondierungspapier bei mir im Ortsverein maximal ein, zwei Personen in Erinnerung, die schon damals für die große Koalition waren. Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es auch viele „stille Befürworter“ gab (insbesondere unter denen, die man nicht so häufig bei Veranstaltungen trifft).
Aber ich fand es schon bezeichnend, dass ich oftmals offensiv darauf angesprochen und mir die jeweilige Ablehnung der großen Koalition mitgeteilt wurde.
3.) Der Koalitionsvertrag wurde besser beurteilt
Nach der Vorlage des Koalitionsvertrages hatte ich den Eindruck, dass sich die Stimmung ein wenig drehte. In dem jetzt ausgehandelten Papier finden sich tatsächlich einige Punkte, die man deutlich positiv bewerten kann. Jedenfalls was die reine „Papierlage“ angeht. Wobei man sich immer die Frage stellen muss, was mit einem potentiellen Partner wie der CDU – und insbesondere der CSU – so eine schriftliche Verabredung wert ist…
Auf jeden Fall gab es nach der Präsentation des Koalitionsvertrages dann einige Mitglieder, die mir signalisierten, dass sie jetzt beim Mitgliedervotum eher zustimmen wollen würden. Die Mehrheit (derer, mit denen ich sprach) war/ist aber dennoch eher dagegen.
4.) Vielen war wichtig: kein Wortbruch
Im Verlauf der Diskussion kam immer wieder das Gerücht auf, dass Martin Schulz eventuell Mitglied einer Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel werden wollen würde. Hier habe ich – auch bei den Befürwortern einer großen Koalition – keinerlei Verständnis vernommen. Eher im Gegenteil, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Insofern verwundert ja auch nicht der Beschluss des Parteitages der SPD Bochum am 05.02.2018, in dem Martin Schulz (und Lars Klingbeil) indirekt aufgefordert wurden, nicht im Fall der Fälle in eine Bundesregierung einzutreten. Oder aber (wie es in dem Antrag formuliert war) – beide sollten sich mit vollem Einsatz um den Erneuerungsprozess der SPD kümmern. Dies schloss für die große (einstimmige?) Mehrheit der Delegierten der SPD Bochum ein Regierungsamt aus.
Das Gerücht bestätigt sich und was dann passierte, weiß man ja inzwischen auch…
5.) Basisdemokratie ist wichtig – die/der Einzelne entscheidet!
Ich weiß, dass einige Ortsvereinsvorsitzende der WAZ mitgeteilt haben, dass ihre persönliche Meinung doch eigentlich uninteressant sei. Schließlich entscheidet jedes Mitglied für sich und ein/e OV-Vorsitzende/r hat genau so auch nur eine Stimme.
Diesen Aspekt konnte ich leider nicht mehr im Gespräch anbringen, aber mir persönlich ist das auch wichtig. Wenn bei der SPD über 400.000 Mitglieder abstimmen (davon eine dreistellige Anzahl aus dem Ehrenfeld), dann ist das eine tolle Sache. Und das ist meiner Meinung nach näher an der Basis als wenn das nur ein Parteitag (CDU), ein Präsidium oder Vorstand (CSU) oder eine One-Man-Show (FDP) beschließt.
Schwierige Entscheidungsfindung – hilft der Grokomat?
Wie schon 2013 habe ich vor, mir anzuschauen, welche sozialdemokratischen Ziele in einer großen Koalition umgesetzt werden können (und welche nicht). Dabei beziehe ich mich natürlich vor allem auf die Ziele, die mir persönlich wichtig sind bzw. die, von denen ich denke, dass sie wichtiger als andere sind. Das ist natürlich nur eine subjektive Entscheidung – das ist mir klar.
Der von den Jusos Bayern gestartete Grokomat, der im Stil des Wahl-O-Mat zur Entscheidungsfindung beitragen soll, war da bei mir nicht wirklich hilfreich – siehe mein nebenstehendes Ergebnis…
Von insgesamt 24 Thesen sorgten 8 bei mir dafür, dass ich eher pro GroKo stimmen sollte. Aber auch 8, die sich eher NoGroKo aussprachen. Eine klassische Pattsituation also.
Insofern konnte mir der Grokomat mir natürlich nicht weiterhelfen, wobei ich solche Tools (wie auch den Wahl-O-Maten) auch eigentlich nie für mich als maßgeblich betrachte. Dafür habe ich schon zu sehr eine mehr oder weniger gefestigte Meinung. 🙂
Übrigens habe ich beim Grokomaten natürlich auch bei der Beantwortung berücksichtigt, wie sehr ich CDU und CSU in dieser Konstellation „traue“.
Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern
Vereinzelt wird man ja als SPD-Mitglied auch außerhalb von sozialdemokratischen Terminen auf die Entscheidung zum Mitgliedervotum angesprochen. Da hatte ich kürzlich zwei sehr interessante und längere Gespräche zu geführt.
In beiden Gesprächen ging es am Anfang darum, dass ich doch wohl bitte auf jeden Fall gegen die große Koalition stimmen solle. Denn so könne es ja nicht weitergehen und die SPD würde sich sonst nicht erholen und alles andere wäre ja quasi einer der Kardinalsfehler überhaupt.
Gegen die GroKo … aber für folgende Inhalte…
Im weiteren Verlauf ging es dann aber um politische Inhalte – und zwar darum:
- zu hohe Belastung mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen
- keine Möglichkeit der jungen Nachbarn eine Familie zu gründen, da man sich von einem sachgrundlos befristeten zum nächsten befristeten Arbeitsverhältnis hangelt
- unterentwickelte Bildungssituation in Deutschland
- Auftreten von Deutschland in Europa als Zuchtmeister
- Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) werden Schikanen zugemutet, anstatt ihnen Arbeit und damit mehr Würde zu geben
Ich könnte diese Liste weiter führen – aber das waren alles Punkte, wo ich sagte, dass das Punkte sind, die im Koalitionsvertrag drinstehen. Beispielsweise bei den sachgrundlosen Befristungen gibt es eine Lösung, die in den mir genannten Fällen helfen würde. Denn in diesen Fällen war es vor allem die öffentliche Hand (hier tun sich insbesondere Hochschulen negativ hervor) und hier sind die Kriterien des Koalitionsvertrages, die weitere sachgrundlose Befristungen verbieten, erfüllt.
Danach habe ich dann erneut gefragt, ob man denn weiterhin gegen eine große Koalition sei – wenn doch einem die Punkte wichtig sind, die in einer großen Koalition angegangen werden sollen. Da habe ich in den besagten Fällen keine eindeutige Antwort gehört…
Meine Entscheidung zum Mitgliedervotum der SPD
… und genau das macht diese Entscheidung so schwer. Ja, es sind klare Verbesserungen erkennbar, die das Leben der Menschen bei uns im Land, aber auch direkt in Bochum vor Ort, verbessern. Nichtsdestotrotz gibt es eben nicht nur den reinen Koalitionsvertrag, sondern auch die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren der großen Koalition. Und die Angst, dass die sozialdemokratische Stimme, die wir auch im 21. Jahrhundert noch kraftvoll benötigen, durch eine jetzige große Koalition zu sehr beschädigt wird.