„Austricksen“ des Bogestra-Tarifs:
Vor einigen Tagen las ich in der WAZ Bochum den Artikel Rentner trickst Bogestra-Tarif aus. Da es sich um einen WAZplus-Artikel handelt, versuche ich mal den Inhalt kurz wiederzugeben: Es geht darum, dass ein Rentner, der regelmäßig von Bochum nach Essen fährt, für sich eine (vermeintliche) Möglichkeit gefunden hat, Geld zu sparen. Denn anstatt ein Ticket der Preisstufe B (6,- Euro) zu buchen, nutzt er die Kombination aus Preisstufe A (2,90 Euro – im Artikel stand noch 2,80 Euro) und Kurzticket (1,70 Euro). Das Problem dabei: Die Beförderungsbedingungen erlauben das nicht.
Insofern stellt sich natürlich die Frage, wie sinnvoll es ist, das groß auch in der Zeitung zu thematisieren. Natürlich muss sich die Bogestra gemäß der Regularien und der Tarifbestimmungen im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) dazu positionieren. Und das deren Antwort darauf nicht „Mach doch einfach“ lautet, dürfte auch klar sein…
Zu dem Artikel habe ich einen Leserbrief an die WAZ geschrieben, der auch gestern abgedruckt wurde. Doch ich will das Thema gerne noch etwas ausführlicher darstellen – daher dieser Beitrag hier.
eTarif könnte Lösung bringen:
Grundsätzlich hat der WAZ-Leser, der die Preisgestaltung kritisiert, natürlich recht. Insbesondere wenn man quasi nur „kurz“ die Stadtgrenze überschreitet, kann es teurer werden.
Das Problem ist nicht unbekannt und daher hat der VRR schon vor geraumer Zeit überlegt, wie man dem begegnen kann. Das Ergebnis ist der sogenannte eTarif. Das e steht hier vermutlich für elektronisch (oder aber Entfernung), denn genau darum geht es: Durch die haltestellengenaue Abrechnung von Start bis Ziel ist es egal, ob man bei einer solchen Fahrt dann Stadtgrenzen überfährt oder nicht. Es geht nur um die gefahrenen Kilometer.
Tarifart nicht unbekannt – siehe z.B. London
Als ich vor einigen Jahren mal in London war lernte ich dort die Oyster-Card kennen. Hierbei handelte es sich um eine Karte, auf die ich Guthaben einzahlte und die ich dann bei jedem Betreten/Verlassen einer U-Bahn-Station an einen Kartenleser halten musste, um durch die Drehkreuze zu kommen. Das Guthaben auf der Karte wurde dann entsprechend der gefahrenen Strecke reduziert. Relativ einfach zu benutzen, wenn die Infrastruktur stimmt. Denn natürlich sind diese Drehkreuzanlagen kostspielig, aber in London gibt es die schon lange anscheinend an allen U-Bahn-Stationen (in den Bussen gibt es entsprechende Kartenleser im Eingangsbereich, so weit ich mich dran erinnere).
Das man Bochum und London nicht in einen Topf werfen kann liegt leider auf der Hand, muss aber manchmal immer noch explizit erklärt werden: Denn dadurch, dass wir in Bochum Teil eines Verkehrsverbundes sind, kann man hier keine Insellösungen schaffen. Das was in Bochum (oder Dortmund und Essen) funktioniert, muss auch in Städten wie Alpen, Castrop-Rauxel, Datteln, Korschenbroich und Xanten funktionieren. Denn wir haben einen gemeinsamen Verkehrsverbund und da müssen bestimmte Dinge einheitlich geregelt werden.
Insofern kann ich verstehen, dass – jedenfalls ohne großen finanziellen Aufwand für die Infrastruktur – der neue Tarif erstmal nur elektronisch via Smartphone funktioniert. Auch wenn ich natürlich eine VRR-Karte oder so, die vergleichbar mit der Oyster-Card wäre, begrüßen würde.
nextTicket-Erprobungsphase 1 durch die Bogestra:
Schon vor einigen Jahren gab es daher unter dem Namen nextTicket eine Erprobungsphase für den eTarif. Dieser wurde für den gesamten VRR von der Bogestra durchgeführt und ich war bei diesem Test dabei.
Persönlich fand ich den Tarif eigentlich ganz gut, vor allem weil dadurch nicht nur Tarifungenauigkeiten (wie oben beschrieben) behoben wurden, sondern auch andere – ich nenne sie mal – „Netzanomalien“. Es gab – vor der Einführung des neuen Bogestra-Netzes 2020 – eine von mir viel gefahrene Strecke, die bei einer Einzelfahrt unterschiedliche Preise hatte:
Fuhr ich mit dem Bus, mit dem ich schneller auf der Strecke war, zahlte ich nur die Kurzstrecke.
Fuhr ich mit dem Bus, der an jeder Haltestelle auf – der selben – Strecke hielt und somit langsamer war, zahlte ich mehr.
Warum das so war ist klar: Der schnelle Bus war noch Kurzstrecke, der andere nicht. Das Problem wurde beim nextTicket gelöst, denn da kosteten beide Fahrten gleich viel.
Ein Nachteil des ersten Tarifs war jedoch, dass manche Verbindungen, die normalerweise nur Preisstufe A waren dann teurer wurden, da bestimmte Fahrten in einem Stadtgebiet dann vielleicht doch mal etwas teurer sind als der normale Tarif. Wer beispielsweise von Dahlhausen bis ins Ehrenfeld oder noch weiter fuhr zahlte mehr als im klassischen Tarifsystem.
nextTicket 2.0 jetzt über die Stadtwerke Neuss:
Wie ich anhand der Diskussion über den WAZ-Artikel mitbekommen habe, gibt es bereits seit einiger Zeit den zweiten Probelauf vom nextTicket. Das nextTicket 2.0 wird diesmal verbundweit durch die Stadtwerke Neuss durchgeführt und es können bis zu 15.000 Personen an dem Test teilnehmen, wenn sie sich via nextticket.de anmelden.

Dann braucht man sich nur noch die entsprechende App herunterladen:
- Android: Google Play-Store
- iOS: Apple App-Store
Neuer eTarif:
Im Gegensatz zum ersten Testlauf gibt es beim neuen eTarif etwas andere Regeln. So gibt es beispielsweise eine Deckelung des Preises. Eine Fahrt in einer Stadt kostet nie mehr als der reguläre Tarif für eine Einzelfahrt. Auf gut deutsch gesagt: Man zahlt im Rahmen einer Einzelfahrt entweder den normalen Tarif je nach Zone (A, B, C oder D) – oder aber weniger. Oder um in meinem Beispiel zu bleiben: Wenn ich von Dahlhausen ins Ehrenfeld fahre oder sogar bis nach Gerthe – der Preis wird gedeckelt.
Pressemitteilungen zum eTarif:
Nachfolgend Links zu Pressemitteilungen zum neuen eTarif:
- 26. September 2019: Fahrpreis richtet sich nach Luftlinienkilometern (VRR)
- 2. Juni 2020: nextTicket 2.0 geht in nächste Erprobungsphase (VRR)
- 18. Juni 2020: Testphase für nextTicket 2.0 hat begonnen (VRR)
- 2. Dezember 2020: Für einen besseren ÖPNV: 100 Millionen Euro für den eTarif NRW (Verkehrsministerium NRW)
Wie man insbesondere der letzten Pressemitteilung entnehmen kann, wird der eTarif demnächst auch in ganz NRW verfügbar sein. Dann werden auch so Überschneidungen zwischen den Verkehrsverbünden nicht zu ganz neuen Kostenentwicklungen führen.
nextTicket-App: so funktioniert das
Die Nutzung der App ist, wenn man sich entsprechend angemeldet hat (beim Test und in der App), ganz einfach:
- Wenn man die App aufruft, klickt man auf „Check-in“ und sieht dann das erste Bild – die Haltestellen in der Nähe werden gesucht.
- Aus den angebotenen Haltestellen in der Nähe wählt man dann die Haltestelle aus, wo die Fahrt beginnt. Durch Klick auf „Kostenpflichtig einchecken“ beginnt man quasi den Kauf und hat ein Ticket.
- Danach sollte so ein Bild erscheinen, aus dem ersichtlich ist, das das Ticket gebucht wurde…
- … hier sieht man das Ticket in „groß“ – diesen QR-Code zeigt man auch bei einer Kontrolle des Tickets.
- Wenn man am Ziel angekommen ist, dann geht es wie oben – aber in umgekehrter Reihenfolge weiter: die Haltestellen in der Nähe werden angezeigt und mit Klick auf „Jetzt auschecken“ beendet man die Fahrt.
- Danach bekommt man in einer Kurzfassung Informationen zur gerade beendeten Fahrt.
- In der Detailfassung erfährt man mehr – beispielsweise, dass das eine Fahrt unter Berücksichtigung der ersten Rabattstufe war. Wenn ein Fahrtpreis auf den regulären Tarif nach A/B/C/D gedeckelt würde, stände das auch hier.
Nachfolgend in der Galerie Bilder dazu. Wenn man auf das jeweilige Vorschaubild klickt, kann man das ganze auch in groß sehen:
eTarif startet im Dezember 2021
Wie man der oben verlinkten Pressemitteilung des Landes Nordrhein-Westfalen entnehmen kann, startet landesweit der eTarif in NRW „zum Ende des Jahres 2021“. Nach meinen Informationen im Dezember. In der Pressemitteilung werden folgende Eckpunkte genannt:
- Die Verbünde und Tarifgemeinschaften ermöglichen es den Kunden, den eTarif NRW spätestens ab Ende 2021 zu nutzen.
- Der Preis des gemeinsamen eTarif NRW setzt sich aus einem Grundpreis und einem Preis für die zurückgelegten Luftlinien-Kilometer zusammen.
- Hin- & Rückfahrt sollen den gleichen Preis haben. Kunden erhalten eine Preisobergrenze für Fahrten über Verbundgrenzen hinweg.
Zum Schluss der Pressemitteilung heißt es:
Mit der 100 Millionen Euro-Förderung vom Land werden unter anderem die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen landesweit nutzbaren eTarif NRW geschaffen. Die Förderung des eTarifs NRW wird regelmäßig ausgewertet und von Marktforschern begleitet werden. So wird sichergestellt, dass der eTarif NRW immer wieder angepasst werden kann. Selbstverständlich gibt es parallel zum eTarif NRW auch herkömmliche Fahrscheine.
Der eTarif NRW wird unter strenger Berücksichtigung des Datenschutzes umgesetzt.
Das sind wichtige Punkte: einerseits der Datenschutz. Das bestimmte Daten zu erfassen sind ist klar und gehört zum System dazu. Wichtig sind auch die Fördermittel, denn es fallen ja zusätzliche Kosten für die Verkehrsverbünde an, die ansonsten auf die Ticketpreise aufgeschlagen werden müssten. Das ändert natürlich nichts daran, dass meiner Meinung nach das Land NRW den ÖPNV noch stärker fördern müsste, damit man einen auch preislich attraktiveren ÖPNV bekommt und mehr Leute dazu bekommt, auch den ÖPNV zu nutzen.
… und natürlich wäre es mehr als sinnvoll, wenn es auch eine Infrastruktur wie z.B. in London geben würde, so dass man das ganze nicht nur mit Smartphones nutzen kann. Aber gerade wenn es darum geht, muss man glaube ich das Stichwort „Fördermittel“ nennen, denn eine entsprechende bauliche Umrüstung aller Busse und aller Stadtbahnhöfe dürfte teuer werden. Insbesondere wenn man die Lösung mit den Drehkreuzen so wie in London wollen würde (ob das jedoch – auch aus anderen Gründen – sinnvoll ist, sei mal dahingestellt). Bis dahin finde ich die Lösung mit dem Smartphone aber vernünftig und freue mich darauf, wenn das ganze auch regulär (und nicht nur im Rahmen eines begrenzten Tests) in Bochum verfügbar ist.
Leserbrief in der WAZ Bochum vom 05.08.2021 zum nextTicket 2.0

Zu dieser ganzen Thematik und dem WAZ-Artikel Rentner trickst Bogestra-Tarif aus habe ich – wie bereits oben geschrieben – einen Leserbrief geschrieben. Siehe das Foto links; mit einem Klick sieht man das ganze auch in groß.
Dieser Leserbrief wurde am 5. August 2021 von der WAZ Bochum veröffentlicht und da man in so einer gedruckten Ausgabe bekanntlich nicht viel Platz hat, wurde er nachvollziehbarerweise etwas gekürzt.
Daher hier mal mein ursprünglicher, etwas längerer Leserbrief dazu:
Jedes Tarifsystem hat Vor- und Nachteile. Der WAZ-Leser Lothar Nikolaiczuk hat das auch aufgezeigt. Ob es besonders klug ist, den klaren Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen so publik zu machen sei jetzt mal dahingestellt. „Wie will die Bogestra das auch kontrollieren?“ – ich befürchte, das könnte Herr Nikolaiczuk wahrscheinlicher schneller erleben, als er glaubt.
Daher habe ich für ihn einen Tipp: Unter dem Namen nextTicket gibt es gerade Probeläufe für den eTarif, den elektronischen Tarif im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Nachdem 2018 die Bogestra recht erfolgreich das ganze testete, läuft derzeit im rheinländischen Teil noch ein Probelauf mit bis zu 15.000 Teilnehmenden. Und ab Dezember 2021 wird der eTarif auch bei der Bogestra verfügbar sein.
Warum ich das ganze schreibe? Bei einer Luftlinien-Entfernung von der Haltestelle Wattenscheider Straße bis nach Essen-Zweibachegge von etwas über 6 km würde die Fahrt mit dem entfernungsbasierten nextTicket vermutlich 3,22 Euro kosten. Das ist deutlich weniger als die Preisstufe B (6,- Euro) oder aber die trickreiche, aber nicht legale, Kombination von Preisstufe A3 (2,90 und nicht 2,80 Euro) und Kurzticket (1,70 Euro).
Ab 5 Fahrten innerhalb von 30 Tagen spart man noch einmal 10 % und ab 20 Fahrten im Zeitraum von 30 Tagen sogar 50 %.
Insofern ist der eTarif, den die Bogestra ab Dezember 2021 anbieten wird, eine Ersparnis – und eine legale dazu!